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DIE 4 PROZENT REGEL

Können wir dem angesparten Kapital tatsächlich 4 Prozent entnehmen? 12. Dezember 2020

Auch ich möchte mich über diese Zahl genauer unterhalten. Die Kapitalbezugsquote.

Entscheidet sich eine NeurentnerIn beim Rentenantritt das Kapital zu beziehen, dann ergibt sich eine bohrende Nachfolgefrage, die nicht per se sofort beantwortet werden kann.

Die Fragestellung lautet:

Reicht das Kapital aus, damit eine regelmässige, bestimmte Entnahme getätigt werden kann?

Oder die Frage anders gestellt:

Gehe ich bankrott, wenn ich dem Kapitalstock regelmässig einen gewissen Betrag entnehme?


Bevor wir uns über die Theorie des möglichen Kapitalbezugs unterhalten können, müssen zuerst ein paar Fundamentaldaten erhoben werden.

  • Wieviel Kapital brauche ich regelmässig?
  • Wie lange werde ich leben?
  • Kann ich Perioden überstehen, bei denen der Kapitalbezug allenfalls geringer ausfallen könnte?

Ohne die obigen Kennzahlen zu wissen, wird es schwierig eine Aussage tätigen zu können.

Wieviel Kapital brauche ich regelmässig?
Mit dem Eintritt in die Pensionierung kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass sich der Kapitalbedarf durch die Pensionierung selber reduziert. Selbstredend fallen gewisse Kosten weg z.B. Berufskosten, Mobilität, etc.. Es muss aber erwartet werden, dass dafür andere Kosten steigen könnten z.B. Steuerlast, Krankheitskosten.
Zum Sparpotential und der Sparquote habe ich mich ausführlich zum im Blog Sparen unterhalten.
Die Beantwortung dieser Frage ergibt uns also den minimalen Kapitalbezug, den wir benötigen.

Wie lange werde ich leben?
Doofe Frage, mögen Sie antworten. Ich versuche Sie dennoch zu überzeugen, dass diese Frage gar nicht so doof gemeint ist.
Es gibt verlässliche statistische Daten über die mittlere Lebenserwartung.

  • Fühlen Sie sich gesund und haben in der Verwandtschaft keine Präkonditionen für Krankheiten, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie die mittlere Lebenserwartung erreichen werden.
  • Leiden Sie unglücklicherweise bereits in jungen Jahren an chronischen Krankheiten und Ihre nähere Verwandtschaft ist von Übeln geplagt, dann ist das Erreichen der mittleren Lebenserwartung für Sie bereits dankbar.
Die Beantwortung dieser Frage ergibt uns also den rein mathematischen Zeitraum, währenddessen wir das Kapital benötigen.

Kann ich Perioden überstehen, bei denen der Kapitalbezug allenfalls geringer ausfallen könnte?
Erschlagen Sie beim Erreichen des Pensionsalters die laufenden Kosten, dann ist eine Reduktion des Kapitalbedarfs schwierig. Haben Sie aber, trotz des Erreichens des Pensionsalters, weiterhin eine positive Sparquote, dann ist es durchaus denkbar, dass Sie Perioden von geringerem Ertrag schadlos überstehen können.
Die Beantwortung dieser Frage ergibt uns also eine Abschätzung, ob wir auf Kapitalmarktkapriolen reagieren können.

Wieviel kann ich also nun entnehmen?

Bevor wir uns der Frage zuwenden ist es notwendig zwei Begriffe zu erörtern:

  • SWR = Safe Withdrawal Rate = Sichere Entnahmerate
  • PWR = Perpentual Withdrawal Rate = Ewige Entnahmerate

Die Sichere Entnahmerate zeigt an, wieviel Prozent vom Kapitalstock jährlich entnommen werden kann, ohne dass sich das Kapital innerhalb einer wohl definierten Zeit komplett aufbraucht.
Das Ziel muss es sein, dass die maximale Entnahme, die SWR nicht überschreitet. So kann angenommen werden, dass das Kapital lange genug ausreicht.

Die Ewige Entnahmerate ist das Perpetum Mobile der Kapitalentnahme und zeigt an, wieviel Kapital entnommen werden kann, ohne dass das Kapital schrumpft.

Doch wie hoch ist so eine mögliche Entnahmequote denn nun tatsächlich?

SWR und PWR sind direkt abhängig von der Anlagestrategie. Je nachdem wie ein Portfolio gestaltet und zusammengestellt ist, steigen oder fallen mögliche SWR und PWR.

Ohne der Theorie von Anlagestrategien vorzugreifen, kann bei einem wohl diversifizierten Portfolio durchaus davon ausgegangen werden, dass eine SWR von 4 Prozent erreicht werden kann.

Wie verlässlich ist solch eine Aussage?

Diese Fragestellung beinhaltet zwei Komponenten:

  • Die zeitliche Entwicklung des Portfolios.
  • Die Stabilität der Anlagestrategie.

Die zeitliche Entwicklung des Portfolios ist direkt abhängig von der Entwicklung des Kapitalmarktes.
Aber nicht prim&aulr davon, dass die Erträge möglichst hoch sind, sondern insbesondere davon, wann das Portfolio Wertverminderungen ertragen kann und muss. Die Literatur kennt diesen Effekt unter Sequence of Return Risk oder Sequence of Withdrawal Risk.

Die Formel a x b x c x d x e ergibt mathematisch das gleiche Resultat wie b x c x e x d x a.
Alleine die Reihenfolge der Multiplikatoren ändert sich.

Die Reihenfolge wird aber ein entscheidender Faktor, falls wir regelmässig Kapital entnehmen wollen.

Nehmen wir folgende Faktoren an:

  • a = Gewinn von 30 Prozent
  • b = Gewinn von 10 Prozent
  • c = Verlust von 40 Prozent
  • d = Gewinn von 10 Prozent
  • e = Verlust von 20 Prozent

Gehen wir von einem Startportfolio aus von 100'000 und entnehmen jährlich 10'000.
Die Entwicklung der beiden Portfolios sieht dann so aus

Kapitalmarktentwicklung a x b x c x d x e

Jahr Portfolio Erfolg Entnahme Stand Ende Jahr
1 100'000 30'000 10'000 120'000
2 120'000 12'000 10'000 122'000
3 122'000 -48'800 10'000 63'200
4 63'200 6'320 10'000 59'520
5 59'520 -11'904 10'000 37'616

Bei dieser Kapitalmarktentwicklung bleiben am Schluss noch 37'616


Kapitalmarktentwicklung b x c x e x d x a

Jahr Portfolio Erfolg Entnahme Stand Ende Jahr
1 100'000 10'000 10'000 100'000
2 100'000 -40'000 10'000 50'000
3 50'000 -10'000 10'000 30'200
4 30'000 3'000 10'000 23'000
5 23'000 6'900 10'000 19'900

Bei dieser Kapitalmarktentwicklung bleiben am Schluss noch 19'900

Geändert hat sich alleine der Zeitpunkt, bei welchem das Portfolio eine negative Entwicklung erfahren hat.

Es ist unschwer zu erkennen, dass, falls nicht noch etwas dramatisches passiert, das Kapital bei der zweiten Kapitalmarktentwicklung schon bald aufgebraucht sein wird.

Starke Einbrüche zu Beginn der Entnahmephase sind also ungleich ungünstiger, als Einbrüche zu einem späteren Zeitpunkt.

Die schlechte Nachricht dabei ist, dass dies überwiegend nur mit der Stabilität des Portfolios verhindert werden kann. Selbstredend könnte im zweiten Marktverlauf daran gedacht werden, in den Jahren 2 und 3 die Entnahme etwas zu reduzieren. Aber selbst mit einer Reduktion auf null könnte der Effekt nur bedingt abgefangen werden. Ganz zu schweigen davon, dass die Entnahme der Deckung der Kosten geschuldet ist.

Eine stabile Anlagestrategie muss also in der Lage sein, auch ungünstige Marktentwicklungen zu tragen.

Es ist dabei aber selbstredend, dass die Zukunft nicht vorausgesagt werden kann. Um die Stabilität einer Anlagestrategie zu überprüfen, wird deshalb die Vergangenheit zu Hilfe genommen.

Ein gängiges Mittel sind Monte-Carlo-Simulationen. Bei denen wird ein Portfolio mit möglichst unterschiedlichen Marktverläufen getestet. Und am Ende ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit, zu wie vielen Prozenten ein Portfolio einen wohl definierten Zeitraum überlebt.

Das Internet bietet mannigfaltige Seiten, auf welchen gängige Portfolios auf ihre Stabilität getestet werden können. In meiner Linkliste finden Sie ein paar davon. Ich werde mich in einem späteren Blog über dedizierte Rentenportfolios unterhalten.

Es kann generell aber angenommen werden, dass eine Anlagestrategie aus einem Aktienanteil von 75 Prozent und einem Bondanteil von 25 Prozent, eine Entnahmerate von 4 Prozent während 25 Jahren zu grösser als 95 Prozent der Fälle überlebt.
In kleiner als 5 Prozent der Fälle geht das Portfolio bankrott.

Für einige mag ein 5 Prozent Risiko immer noch zu hoch erscheinen. Für diese wird dann dringend eine Rente empfohlen.

Für den willigen Markteilnehmer kann jedoch in Aussicht gestellt werden, diesen Risikoquotienten weiter senken zu können. Im besten Fall können 99 Prozent Wahrscheinlichkeit erreicht werden.

100 Prozent Eintrittswahrscheinlichkeit wird es aber niemals geben. Denn schliesslich wird, basierend auf der Vergangenheit, versucht die Zukunft vorherzusagen. Und wer weiss schon, was die Zukunft bringt.

Einige mögen Einwenden: 25 mal 4 Prozent ergibt 100 Prozent. Was soll hier also die Herausforderung sein?

Die Anlagestrategie soll insbesondere auch dazu dienen, Effekte wie die Inflation zu überwinden. Gäbe es keine Inflation und keinen Kaufkraftverlust, dann könnte das Kapital tatsächlich unter dem Kopfkissen eingelagert werden.

Im schlimmsten Fall erfährt selbst ein diversifiziertes Portfolio einen Taucher von 30 Prozent, oder mehr. Und dann sieht die Zukunft schon ziemlich düster aus.2008 haben sowohl der Dow Jones als auch der SMI 34 Prozent in einem Jahr verloren

Aber in einem solchen Fall kann davon ausgegangen werden, dass die Welt ein gröberes Problem erfahren hat. Und vielleicht ist dann Geld und Kapital für einen Moment grad nicht mehr ganz so wichtig.

Die gewählte Anlagestrategie sollte also auf jeden Fall mittels geeigneter Werkzeuge auf ihre Stabilität hin getestet werden. Auch eine ausgeprägte Marktvolatilität muss eine Anlagestrategie, die auf einen Rentenbezug fokussiert ist, ertragen können.


Wie sieht es denn nun aus, so ein diversifiziertes Rentenportfolio? Mehr dazu im Blog Anlagestrategie.